Susanne, Geschichte einer Heldin

Susanne war eine Zeitzeugin.
Sie wurde im zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht zwangsrekrutiert.
Aber sie nutzte Ihre Chance zum Widerstand.
Wann immer es ihr möglich war manipulierte sie, kämpfte sie, arbeitete gegen das brutale Regime.
Sie lachte während sie mir die Geschichten erzählte, mitunter weinte sie aber bitterlich.
Zu Beginn des Krieges wurde sie in Oberschleißheim am Fliegerhorst stationiert.

Einmal bat sie einen befreundeten Piloten der Militärbasis, den Propellermotor seines Flugzeugs anzulassen, genau in dem Moment, als ein hoher Offizier der Nazis dahinter stand.
Dessen Uniform-Mütze flog ihm vom Kopf und er rannte “wie ein kleiner Bub” hinterher, um sie zu fangen - zur Allgemeinen Erheiterung - um ihn vor den anderen zu blamieren.

Ein anderes Mal zog sie die Decken einer ganzen Kompanie “für die Wäscherei” ein. Die Soldaten sollten nach Stalingrad verlegt werden, ihr sicherer Tod.
Aber ohne Decken durften Soldaten nicht an die Front, sie konnten folglich nicht verlegt werden.
Dafür wollte die SS Susanne erschießen lassen: Insubordination, Befehlsverweigerung.
Ein hoher General setzte sich schützend für sie ein und konnte ihre Strafe umwandeln, sie wurde nach Frankreich strafversetzt.

Dort kollaborierte sie insgeheim mit der französischen Resistance.

Sie brachte Juden in einem nahegelegenen Bordell unter, versteckte sie dort im Keller vor den Nazis.
Das perfekte Versteck, denn das Bordell wurde häufig von deutschen Soldaten und Offizieren frequentiert, wer würde hier im Keller suchen…
Keiner wurde entdeckt.

Sie stahl Essen von den Tellern der Offiziere, das in einem Paternoster-Aufzug von der Küche ins Offizierskasino gebracht wurde. Fleisch, Butter, Brot.
Das bekamen die versteckten Menschen und die Damen im Bordell, um sie vor dem Verhungern zu bewahren.
Sie stahl Zigaretten bei der deutschen Versorgungseinheit, um diese als Zahlungsmittel für Freundschaftsdienste der Resistance zu benutzen.

Einige Male wurde es sehr knapp, fast wurde sie erwischt.
Das hätte ihre sofortige Liquidierung bedeutet.

Sie rettete Leben, unabhängig von Nationalität, Religion, Ethnie, stellte das Leben Fremder über ihr eigenes.

Sie war meine Großmutter.
Sie ist meine ganz persönliche Heldin.

Einige Jahre nach dem Krieg heiratete sie, einen Deutschen, ehemals Wehrmachts-Soldat, zwangsrekrutiert wie so viele. Ohne Wahlmöglichkeit. Armee oder Gefängnis, KZ oder gleich Liquidierung.

Er hieß Xaver.

Kurz nach Kriegsende fuhren Geländewägen der amerikanischen Besatzer zum Haus von Xaver und seiner Familie.

Ein US-Offizier schrie herum, verlangte nach Xaver.

Es war die Zeit der Entnazifizierung, frühere Anhänger und Mitläufer der Nazis wurden ausfindig gemacht und verurteilt.
Mein Großvater Xaver hatte natürlich Angst. Große Angst.
Er stellte sich mit schlotternden Beinen dem Offizier vor, wurde dann zur Kommandatur der Amerikaner gebracht und über seine Zeit bei der Wehrmacht befragt:

Xaver war während des Krieges als Wachmann in einem Strafgefangenenlager eingesetzt.

Dort sprach ihn einmal heimlich ein Gefangener an.
Ein als Kind mit seinen Eltern in die USA ausgewanderter Deutscher, der nun als amerikanischer Offizier mit seinem Flugzeug über Deutschland abgeschossen wurde, den Absturz überlebte und gefangen genommen worden war.
Er und einige Mithäftlinge sollten alsbald erschossen werden.
Der Amerikaner bat meinen Großvater um Hilfe.
Xaver besorgte heimlich Zangen und anderes Werkzeug, um die Zäune des Lagers zu durchschneiden, verriet die Zeiten des Wachwechsels und verhalf so einigen Gefangenen zur Flucht.

Der Amerikaner und seine Mithäftlinge fanden zurück zu ihren Leuten. Sie verdankten Xaver ihr Leben.

Sie suchten und fanden ihn nach dem Krieg.

Der Offizier dankte meinem Großvater von ganzem Herzen.
Er versorgte Xaver mit dringend benötigten Nahrungsmitteln, Konserven, Kaugummi, Zigaretten. Mit allem was das Überleben sichern konnte in diesen Zeiten absoluter Not.

Xaver war mein Großvater. Er verstarb in meiner Kindheit. Ich konnte ihn leider nicht fotografieren.
Aber seine Geschichte kenne ich zum Glück.


Auch er war einer der stillen kleinen Helden, er wollte sich nicht den Nazis fügen.

Danke Susanne. Danke Xaver.